Olympia

«Nah an der Realität»: Die unvollkommenen Rio-Spiele

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Rio de Janeiro – Rio hat Olympia geschafft. Die unvollkommenen Spiele unter dem Zuckerhut haben die olympische Welt vier Jahre nach der flirrenden Sommer-Party von London auf eine echte Probe gestellt.

Die wenigen magischen Momente wie Usain Bolts Goldläufe und die nächste Rekord-Show des Schwimm-Giganten Michael Phelps vermochten nicht von den Schwächen der Olympia-Premiere in Südamerika abzulenken. Halbleere Arenen, Baumängel im Athletendorf und das plötzlich grüne Wasser bei den Kunstspringern waren sichtbare Zeichen dafür, wie schwer sich die von einer tiefen Wirtschaftskrise geplagten Brasilianer mit dem Debüt auf der größten Sportbühne taten.

«Diese Spiele wurden nicht in einer Luftblase organisiert, sondern in einer Stadt mit sozialen Problemen und Unterschieden», sagte Thomas Bach am Ende seiner ersten Sommerspiele als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. «Es war gut, dass die Spiele nah an der Realität waren und nicht irgendwie isoliert.» Worte voller Milde, wie sie vom Chefverkäufer des olympischen Betriebs kaum anders zu erwarten waren.

«Grenzwertig», nannte Deutschlands Gold-Turner Fabian Hambüchen das Abenteuer Rio. «Das hat nichts mit Olympia zu tun», wetterte Bundestrainer Jamilon Mülders, als sein Damen-Hockeyteam wegen mangelnder Hygiene die Bäder selbst putzte.

Das Saubermachen fällt auch dem IOC nicht leicht. Russlands Sportler durften trotz des Staatsdoping-Skandals in großer Zahl in Rio antreten, weil das IOC eine Komplett-Sperre ablehnte und die Sportrichter weitere Athleten nachträglich zuließen. Ausgerechnet Doping-Kronzeugin Julia Stepanowa erhielt indes kein Startrecht. Die Russland-Affäre dürfte das IOC noch lange verfolgen. Dafür könnte allein die Welle von Nachtests der Sotschi-Spiele von 2014 sorgen, bei denen die Russen offenbar im großen Stil manipulierten.

Auch diesmal bleiben viele Zweifel beim Blick auf den Medaillenspiegel. Dass die deutsche Mannschaft ihr Ziel von 44 Mal Edelmetall verfehlte, führt mancher Sportler und Spitzenfunktionär ganz unverhohlen auch auf die Versäumnisse im internationalen Kampf gegen Doping zurück. Das allein jedoch erklärt nicht die Pleiten der DOSB-Delegation vor allem in den olympischen Kernsportarten Schwimmen und Leichtathletik. «Wir haben zweifelsohne einige Sorgenkinder, wo es unter Umständen tiefgreifende Reformen erfordert», sagte Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes.

Zum ersten Mal seit 1932 kehren die Schwimmer ohne Medaille von Olympia zurück. Bei den Leichtathleten fällt die Bilanz kaum besser aus. Fast schon passend, dass nicht einmal die Freude über das sensationelle Diskus-Gold von Christoph Harting ungetrübt ausfiel, weil der Berliner sich bei der Nationalhymne daneben benahm.

Immerhin: Mehr Goldmedaillen hatte das deutsche Team zuletzt vor 20 Jahren in Atlanta gewonnen. Die Kanuten um Sebastian Brendel, Reck-Held Hambüchen, die treffsicheren Schützen, die Reiter um Michael Jung und Isabell Werth und die Beach-Königinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst lieferten goldige Bilder in die Heimat. Auch in den Mannschaftssportarten zeigten die Deutschen wieder ihre Stärke.

Den doppelten Triumph im Fußball-Tempel Maracana verhinderte nur ein Elfmeter von Brasiliens Superstar Neymar. Einen Tag nach dem goldenen Abschied von Frauen-Bundestrainerin Silvia Neid mussten sich die deutschen Junioren im Finalkrimi dem Gastgeber geschlagen geben. Der tränenreiche Jubel von Neymar zwei Jahre nach dem 1:7 gegen die DFB-Elf bei der Heim-WM lieferte Brasilien einen der emotionalsten Augenblicke der Rio-Spiele. Mitten ins Herz traf auch das Judo-Gold von Rafaela Silva, die in der aus dem Drama «City of God» bekannten Favela aufgewachsen war.

Ähnlich begeistert wurden die zehn Athleten des Flüchtlingsteams gefeiert, die unter der Flagge des IOC antraten. «Sie wurden behandelt wie Rockstars», sagte IOC-Chef Bach. Sportlich waren zwar alle chancenlos, das Zeichen ihrer Teilnahme aber wirkte.

Ansonsten zündete Olympia in Rio nur selten. Viele Tickets blieben liegen, mit Pfiffen und Buhrufen gegen ausländische Sportler wie Stabhochsprung-Star Renaud Lavillenie irritierten die Brasilianer die olympische Gemeinde. Und dann sorgten auch noch Skandale am Rande für miese Schlagzeilen.

Das irische IOC-Mitglied Patrick Hickey wurde wegen mutmaßlichen Schwarzhandels mit überteuerten Eintrittskarten im Bademantel in seinem Hotel festgenommen und erlebte die letzten Olympia-Tage in einer Zelle. Vier US-Schwimmer um Ryan Lochte hielten die Behörden mit einer frei erfundenen Geschichte von einem Raubüberfall in Atem und mussten sich später kleinlaut für ihren entgleisten Besuch an einer Tankstelle entschuldigen. «Das sind bisher die schwierigsten Spiele, die wir jemals erlebt haben», bekannte IOC-Vizepräsident John Coates zwischendurch. Jetzt sind sie vorbei.

In 536 Tagen brennt die Flamme wieder, dann bei den Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang. Olympia zieht um nach Asien. 2020 ist Tokio mit den nächsten Sommerspielen an der Reihe. 2022 dann Peking als übernächster Winter-Gastgeber. Von Koreanern, Japanern und Chinesen erhofft sich das IOC eine Rückkehr zu perfekt organisierten Spielen.

Rio ist aber noch nicht ganz fertig. Vom 7. bis 18. September messen sich die besten Behindertensportler der Welt bei den Paralympics. Kurz vor Beginn fehlen den Veranstaltern noch 50 Millionen Euro im Budget, erst zwölf Prozent der Tickets sind verkauft. Willkommen an der Copacabana.

Fotocredits: Diego Azubel
(dpa)

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