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Tränen und Tore: «Chape» spielt wieder

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Chapecó – Für Jackson Follmann ist es eine Rückkehr, die kaum auszuhalten ist. Im Rollstuhl wird er auf das Spielfeld der Arena Condá geschoben. Wie durch ein Wunder war er vor 54 Tagen aus dem Wrack des an einem Berg in Kolumbien zerschellten Flugzeugs gezogen worden.

Sein rechtes Bein musste amputiert werden. Auf den Rängen jubeln ihm tausende Menschen in grün-weißen Trikots zu. Er weint. Mit dem Torwart betreten Neto und Alan Ruschel das Spielfeld – die drei Fußballer überlebten als einzige Spieler den Flugzeugabsturz bei Medellín.

Die Mannschaft des südbrasilianischen Provinzclubs AF Chapecoense war am 28. November auf dem Weg zum Finalhinspiel um die Copa Sudaméricana. Die Chartermaschine stürzte wegen Treibstoffmangels wenige Kilometer vor dem Flughafen ab, der Chef der Gesellschaft LaMia sitzt seither in Haft. Statt des größten Spiels wurde es für den Club aus Südbrasilien die größte Katastrophe. 71 Menschen starben, darunter 19 Spieler und 24 Betreuer und Begleiter.

Am Samstag tritt das neuformierte Team, bestehend aus Neuzugängen, Nachwuchsspielern und nicht mit nach Kolumbien geflogenen Kickern zu Spiel 1 nach der Tragödie an. Neto und Ruschel hoffen, irgendwann auch wieder spielen zu können. Doch bevor es gegen den Meister Palmeiras aus São Paulo geht, erhält Jackson Follmann den großen silbernen Pokal, den er eigentlich mit seinen Mitspielern auf dem Spielfeld erringen wollte. Auf Antrag des Finalgegners Atlético Nacional Medellín hatte «Chape» den Titel der Copa Sudaméricana 2016 – vergleichbar mit dem Titel der Europa League – zugesprochen bekommen und auch die zwei Millionen US-Dollar Preisgeld erhalten.

Mit Tränen in den Augen nimmt Follmann den Pokal entgegen, es ist wohl die traurigste Übergabe aller Zeiten. Kein Konfetti, hinter ihm stehen die Witwen der gestorbenen Mitspieler und Betreuer, viele haben ihre Kinder dabei, die ihre Väter verloren haben. Viele liegen sich in den Armen, «Chape»-Gesänge erfüllen das weite Rund. Dieses Mal scheint die Sonne, als Anfang Dezember hier die Särge im Stadion bei der großen Trauerfeier aufgebahrt wurden, regnete es in Strömen.

Der Verein wurde weltbekannt, gewann Zehntausende neue Mitglieder. Im Sommer darf AF Chapecoense sogar zu einem Freundschaftsspiel gegen den FC Barcelona im Camp Nou antreten. Gegen Palmeiras gab es auch das letzte Ligaspiel vor der Katastrophe, der Club des früheren Bundesligaspielers Zé Roberto (42) sicherte sich damals, vor knapp zwei Monaten, durch einen 1:0-Sieg die erste brasilianische Meisterschaft seit 22 Jahren. Der Sport ist beim Benefizspiel – die Einnahmen gehen an die Hinterbliebenen – fast Nebensache. Aber das 2:2 (1:1) ist ein großer Achtungserfolg.

Nach der Führung von Palmeiras durch Raphael Veiga (11. Minute), gleicht Douglas Grolli (14.) aus, frenetischer Jubel. Ausgerechnet er, der seine Karriere als Jugendspieler hier begann und zum neuen Jahr als Solidaritätsmaßnahme von Cruzeiro Belo Horizonte zu Sonderkonditionen an Chapecoense verliehen wurde.

«GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOLLLLLLLLLLL DA CHAAAAAAAAAPEEEEEE!!» twittert der Verein, tausendfach wird die Mitteilung in aller Welt verbreitet.

Denn es ist nun mal nicht irgendein Tor. Dieser 21. Januar 2017 ist der erste Schritt zum Neuanfang von «Chape». Unter den Opfern des Absturzes waren auch viele Journalisten, die den Club nach Medellín begleiteten. Der einzige Journalist, der überlebte, war Rafael Henzel. Er ist auch im Stadion, er moderiert in seiner Kabine die Partie gegen Palmeiras für den Sender «Radio Oeste Capital».

In der zweiten Halbzeit geht Chape durch Amaral (47.) sogar in Führung, bevor Vitinho (78.) zum 2:2-Endstand ausgleicht. Zuvor gab es in der 71. Minute noch einmal einen besonderen Moment. Die Partie wurde für 60 Sekunden unterbrochen, um der 71 Toten von Medellín zu gedenken. Das ganze Stadion applaudierte, dann ertönte tausendfach der Ruf, der weltweit bekannt wurde: «Vamos, Vamos, Chape.»

Fotocredits: Antonio Cicero,Antonio Cicero,Antonio Cicero,Antonio Cicero,Antonio Cicero
(dpa)

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