Olympia

Von Frust zu Genuss: Kerber freundet sich mit Silber an

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Rio de Janeiro (dpa) – In der Nacht nach dem verspielten ersten Einzel-Triumph seit Steffi Graf konnte sich Angelique Kerber mit ihrer olympischen Silbermedaille anfreunden.

Mit einem Schluck Caipi stieß die 28-Jährige mit Bundestrainerin Barbara Rittner an, stärkte sich mit Steak, Reis, Kartoffeln und deutschem Brot. Rund vier Stunden nach dem 4:6, 6:4, 1:6 im Endspiel gegen Sensations-Olympiasiegerin Monica Puig aus Puerto Rico war die erste Traurigkeit ein wenig verflogen.

«Die Enttäuschung wird sich mit der Zeit legen», sagte Kerber, als sie gegen Mitternacht mit der silbernen Plakette um den Hals zu einer kleinen Feier im Deutschen Haus in Rio de Janeiro ankam. «Die Medaille ist das i-Tüpfelchen. Das war ein Kindheitstraum. Das Schönste ist, dass ich sie nie wieder hergeben muss.»

Direkt nach dem letzten gespielten Punkt auf dem Centre Court saß der Frust dagegen noch tief. Emotionslos trottete die Australian-Open-Siegerin zum Netz. Lediglich mit einem schlichten Händedruck gratulierte die Kielerin der 22-jährigen Puig, die sich als erste Goldmedaillengewinnerin in Puerto Ricos Olympia-Historie verewigte.

Die Weltranglisten-34. ließ sich vom begeisterten Publikum feiern, während sich die deutsche Nummer zwei der Welt schon mit der Schiedsrichterin über das Prozedere bei der Siegerehrung unterhielt. Sie zeigte keine Geste wie die amerikanische Weltklassespielerin Serena Williams, die im Stile eines Champions nach dem unterlegenen Melbourne-Finale direkt auf Kerbers Seite ging und sie umarmte.

Im 2:09 Stunden dauernden Finale trumpfte Puig auf und spielte vielleicht das Match ihres Lebens. Kerber wirkte nicht ganz fit und ließ sich nach dem ersten Satz am unteren Rücken und Gesäßmuskel behandeln. «Sie hat ihr Herz auf dem Platz gelassen», sagte Fed-Cup-Chefin Rittner, als Kerber zum Nachtisch ein süßes Stück Kuchen verspeiste. «Die goldene Krönung sollte nicht sein, aber ich glaube, dass sie viele Jahre stolz darauf zurückblicken wird», sagte die frühere Weggefährtin von Steffi Graf. Kerber sei nach dem Wimbledon-Finale «noch mal ein Stück reifer geworden».

1988 hatte Graf als bisher einzige deutsche Einzel-Spielerin Olympia-Gold gefeiert. Nach ihr hatte auch das Doppel Boris Becker und Michael Stich 1992 ganz oben auf dem Podest gestanden. Graf holte 1992 noch einmal Silber, ebenso wie Tommy Haas 2000 sowie das Doppel Rainer Schüttler und Nicolas Kiefer 2004. Und jetzt Kerber.

Die Spiele wird die Weltranglisten-Zweite in positiver Erinnerung behalten, weil sie anders sind als der immer gleiche Tour-Alltag der verwöhnten Tennisprofis. «Wenn man ins olympische Dorf fährt und nicht ins Hotel, einsam, sondern mit dem Team zusammen ist, zusammen essen geht und während der Matches in die Box schaut, und das Team viel größer ist», schilderte die bodenständige Norddeutsche. «Das ist ein ganz anderes Gefühl als normal.»

Die Einsamkeit hat Kerber unmittelbar wieder. Nach einer kurzen Touristen-Tour durch Rio stand schon für Sonntag der Flug nach Cincinnati auf dem Programm. Beim Vorbereitungsturnier auf die US Open könnte die Linkshänderin theoretisch Serena Williams als Nummer eins der Welt ablösen, wenn sie den Titel gewinnt und es ihre fast 35 Jahre alte Konkurrentin aus den USA nicht ins Viertelfinale schafft. Williams hat nach ihrem enttäuschenden Achtelfinal-Aus in Rio eine Wildcard in Anspruch genommen. «Ich weiß nicht, ob sie Angst hat», sagte Kerber. «Aber ein bisschen Angst – warum nicht?»

Mit den US Open beginnt schon in zwei Wochen das letzte Grand-Slam-Turnier des Jahres – und Kerber wird wieder als vielbeachtete Mitfavoritin antreten. Finalsieg in Melbourne, Finalniederlagen in London und Rio. Ob sie zu den Endspielen der Saison-Höhepunkte nun einfach dazugehöre, wurde Kerber trotz ihrer Erstrunden-Pleite bei den French Open in Paris gefragt. «So soll es sein», lautete Kerbers schmunzelnde Antwort.

Fotocredits: Lukas Schulze,Lukas Schulze,Lukas Schulze,Bernd Thissen,Bernd Thissen,Bernd Thissen,Bernd Thissen,Jeon Heon-Kyon

(dpa)