Olympia

Der außergewöhnliche US-Volleyballer Anderson

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Rio de Janeiro – Stundenlang stapfte Matt Anderson mit seiner Schwester Joelle durch den Schnee. Ein Sturm hatte Buffalo lahmgelegt und er genoss den Spaziergang durch die wie leer gefegten Straßen. Der US-Volleyball-Star brauchte Zeit, er benötigte Ruhe.

Und der Schnee in seiner Heimatstadt besänftigte ihn im späten Herbst 2014. «Ich fühlte mich irgendwie ausgebrannt», erzählte der Diagonalangreifer damals. «Ich spürte, wie ich immer verbitterter wurde.» Anderson, schon damals einer der weltbesten Volleyballer, entschloss sich zu einem radikalen Schritt. Er verließ seinen Verein Zenit Kasan, kehrte in die USA zurück und nahm sich eine Auszeit.

«Ich musste meine persönliche Seite mehr erforschen», erzählte Anderson, der mit Mitfavorit USA seinen Olympia-Auftakt gegen Nachbar Kanada völlig überraschend mit 0:3 verpatzte. «Ich musste mich auch durch einige Gefühle wühlen, die noch mit meinem Vater zusammenhingen.»

Michael Anderson war einer der enthusiastischsten Fans seines Sohnes. Von seinem Vater konnte sich der Filius aber nicht verabschieden, er erlag im Januar 2010 einer Herzattacke. Sein Sohn, der schon mit 21 Jahren die USA verlassen hatte, spielte damals in Südkorea.

«Für viele Leute war er wie ein Fels», sagte Anderson über seinen Vater. Der Absolvent der Pennsylvania State Universität hätte noch so viele Fragen gehabt. «Alberne Fragen», wie Anderson einräumte. «Wie soll man ein Mädchen am besten ansprechen? Welches Auto soll man sich kaufen?» Fragen, die der Sohn aber gerne gestellt hätte.

In ihm musste sich über die Jahre einiges aufgestaut haben, Depression ist wohl noch die treffendste Beschreibung. Zwar sammelte Anderson mit seinem russischen Verein Titel um Titel und gewann mit den USA 2014 die Weltliga, ehe der Cover-Boy der US-Volleyballer sich die Auszeit nahm. «Er brauchte diese Pause», betonte seine Mutter Nancy. «Er musste Körper und Seele sich erholen lassen. Und er musste seine Familie sehen.»

«Selbst Michael Jordan hat eine Auszeit gebraucht», sagte US-Nationaltrainer John Speraw den «Buffalo News». «Matt steht so stark im Fokus unseres Sports, da braucht es schon eine große Portion Ehrlichkeit zu sich selbst, um diese Pause zu beanspruchen.»

Nach dem Neujahrstag 2015 kehrte Anderson wieder nach Russland zurück und fügte sich in die Mannschaft ein, als hätte er nur mal eben kurz mit dem Training ausgesetzt. Im US-Team hat ihn das bittere Aus 2012 im Viertelfinale gegen Russland reifen lassen. «Ich bin definitiv ein besserer Führungsspieler als damals, weil ich heute besser auf meine Nebenleute eingehen kann», sagte er.

Auf die Innenseite seines rechten Handgelenks hat er sich ein blaues Puzzleteil stechen lassen, darunter steht der Name Tristan. Es ist Joelles Sohn, es ist der Name seines zehnjährigen Neffen, der unter Autismus leidet. «Wenn ich aufschlage, sehen das die Menschen. Damit kann ich sie aufmerksam machen», erklärte Anderson sein Tattoo.

Es ist nicht das einzige. Das Geburts- und Todesdatum seines Vaters ließ er sich in die Haut gravieren, vier Rosen stehen für seine Geschwister. Und dann ist da natürlich der linke Oberarm. Darüber spannt sich ein wild verzweigter Baum, es ist der Stammbaum seiner Familie. Es soll ein Baum des Lebens sein.

Fotocredits: Jorge Zapata
(dpa)

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