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Rio de Janeiro – Nicht die besten Spiele

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Rio de Janeiro – Gemessen an all den Befürchtungen im Vorfeld, sind die Olympischen Spiele in Rio noch halbwegs glimpflich über die Bühne gegangen. Aber IOC-Vizepräsident John Coates spricht von den «bisher schwierigsten Spielen».

Vieles läuft nicht rund, Überfälle dienen sicher nicht dem Image Rios. Die Sportler finden die Zustände unwürdig. Martina Strutz, Sprecherin der deutschen Leichtathleten, bilanziert: «Das sind die schlechtesten Spiele, die wir je hatten».

DIE AUSGANGSLAGE: Wie hatte Bürgermeister Eduardo Paes vor den Spielen gesagt: «Mit dieser ganzen ökonomischen und politischen Krise, mit all diesen Skandalen ist es nicht der beste Moment, um im Fokus der Welt zu stehen.» Es fehlte vor allem Geld an allen Ecken und Enden, nur ein Notkredit der Regierung von rund 800 Millionen Euro sicherte die Spiele. Die harten Sparmaßnahmen waren deutlich zu spüren, allein schon bei der spartanischen Einrichtung im olympischen Dorf. Nur 50 000 statt 70 000 Freiwillige konnten rekrutiert werden – mangels Orientierung quittierten viele von ihnen den Dienst. Immer wieder wurden Helfer von genervten Olympiabesuchern beschimpft.

DER START: Es fängt mit Baumängeln und Schmutz im olympischen Dorf schon unschön an – 600 Handwerker und Putzfrauen müssen zu einem Noteinsatz anrücken, mehrere Nationen bezahlen auf eigene Rechnung Reparaturen. Das Bussystem funktioniert nicht, ebenso dauern die Einlasskontrollen zu lange. Am ersten Wettkampftag bleiben allein rund 40 000 Plätze unbesetzt, weil Zuschauer nicht rechtzeitig zu den Wettkämpfen kommen. Im Olympischen Dorf stockt die Verpflegung, teils muss selbst geputzt werden, Klos verstopfen, Duschen bleiben kalt.

DIE SICHERHEIT: Mehrere Olympiateilnehmer werden überfallen, im Olympischen Dorf kommen Sachen abhanden. Ein Bus mit Journalisten wird attackiert, ein Militärpolizist stirbt an Schußverletzungen bei einem Einsatz in einer Favela in der Nähe des Flughafens. Aber unterm Strich: Kein Terrorangriff, keine dramatischen Zwischenfälle – 85 000 Polizisten und Soldaten haben die Lage im Griff. Der vermeintlich «spektakulärste» Fall entpuppt sich als Schwindel: US-Olympiasieger Ryan Lochte und drei Schwimmer-Kollegen geben nach einer Partynacht an, in einem Taxi von falschen Polizisten gestoppt und ausgeraubt worden zu sein. Aber Lochte und Co. hatten sich schlicht daneben benommen, an einer Tankstelle uriniert – mit dem Ablenkungsmanöver haben sie sich selbst geschadet.

MOMENTE: Brasilien ist eigentlich ganz zufrieden mit den Spielen, man hat das Beste draus gemacht – und das erste olympische Fußball-Gold durch Neymar und Co. versetzt das Land in einen Jubeltaumel. Für Vanderlei de Lima ist das Entzünden des Feuers eine persönliche Goldmedaille – 2004 in Athen hatte den Marathonläufer, in Führung liegend, ein Mann von der Straße gedrängt, de Lima gewann nur Bronze. Usain Bolt rockt auch Rio mit den Goldmedaillen 7,8 und 9. Und gibt Pressekonferenzen mit Sambatänzerinnen. US-Schwimmer Michael Phelps hat als erfolgreichster Olympionike nun 23 Goldmedaillen im Schrank. Wayde van Niekerk (Südafrika) rennt über 400 Meter Fabelweltrekord. Die chinesische Silbermedaillengewinnerin im Wasserspringen, He Zi, sieht bei der Siegerehrung plötzlich ihren Freund Qin Kai vor sich knien. Er offeriert ihr das schönste aller Edelmetalle: den Ehering.

STIMMUNG: Statt der erhofften eine Million kommen nur geschätzte 300 000 bis 500 000 Touristen. So sind es vor allem Brasilianer und andere Südamerikaner, die Stimmung machen. Aber es gibt auch viel Kritik, an unfairem Ausbuhen, Schlachtgesängen wie beim Fußball. Offiziell sollen 85 Prozent der Tickets verkauft worden sein, aber viele leere Plätze prägen das Bild, kein Vergleich zur durchweg euphorischen Stimmung in London 2012. Brasilien bejubelt als einen magischen Moment das Judo-Gold von Rafaela Silva. Sie wuchs in der aus dem Drama «City of God» bekannten Favela Cidade de Deus auf. Ironie am Rande: US-Schwimmer James Feigen, an Lochtes Überfall-Posse beteiligt, erhält gegen eine Spende von 9600 Euro seinen Pass zurück. Sie geht an ein Favela-Projekt, in dem Silva mit dem Judo anfing.

IMPROVISATION: Schlange stehen, Warten, ist man in Rio gewohnt, man macht viele Unzulänglichkeiten durch Herzlichkeit und Improvisation wett. Aber der südamerikanische Way of Life ist für die Olympia-Gäste oft einfach nur: nerven- und zeitraubend. Durch die Mängel muss viel nachgebessert werden, das kostet. Auch für die Paralympics fehlt Geld – nur 12 Prozent der Tickets sind verkauft. Das Ganze erinnert an die schwierigen Spiele in Athen 2004, auch Rio nimmt als schwerste Hypothek die Milliardenkosten mit in eine ungewisse Zukunft. Und die von Paes erhoffte Kopie der fröhlichen, leichten Spiele von Barcelona 1992, die einen Touristenboom auslösten, ist Rio nicht gelungen.

ZIKA: Rio war im Vorfeld von Pech verfolgt. Noch mehr als die Sicherheitslage hielt das mysteriöse Zika-Virus Touristen vom Besuch ab. Bis hin zur Absage der Spiele reichten Forderungen. Hinweise der Organisatoren, im brasilianischen Winter sei die Moskito-Aktivität und damit die Zika-Gefahr gering, wurden als Beschwichtigungsversuche abgetan. Bisher wurde nicht ein Zika-Fall bekannt.

VERLIERER: Sind Leute wie Cleber Araujo (40). «Heute Morgen Schüsse», schreibt seine Frau, deshalb fährt die Seilbahn hoch in den «Complexo do Alemão» einige Stunden nicht. In der Favela versucht die Polizei während Olympia mit Gewalt Drogenbanden das Handwerk zu legen. Das Olympiastadion in Sichtweite, der Cristo hat den Menschen hier den Rücken zugewandt. Hier schlägt kein Olympia-Herz, sondern hier regiert die Angst. «Dafür geben sie Milliarden aus, uns vergessen sie und lassen die Gewalt eskalieren», sagt Cleber. Er verkauft Bilder mit bunten Darstellungen der Favela, den Drachen, die die Kinder fliegen lassen. Er hatte gehofft, dass auch hier oben, am sicheren Endpunkt der Seilbahn, wo man tolle Ausblicke hat, Olympia-Touristen vorbeischauen und Bilder kaufen. «Aber leider ist niemand gekommen.»

TYPISCH RIO: Die Brasilianer feiern zu Hunderttausenden Olympia dort, wo gar keine Sportstätten sind, der Olympiapark ist 37 Kilometer (!) entfernt. Der Sport interessiert hier am Olympiaboulevard am Hafen die wenigsten, die Public-Viewing-Wände finden überschaubares Interesse. Neue Kneipen, Museen, locken zum Flanieren am Meer entlang in Rios Zentrum. Vor Olympia war das hier, wo sich einst einer der größten Sklavenmärkte der Welt befand, eine No-Go-Area. Hier haben sie auch das Olympische Feuer hingebracht, vor die Candelaria-Kirche. «Das ist das Beste an Olympia» sagt Natalia Martinez, die mit ihrem Mann Antolin und den Kindern gerade ein Familie-Selfie mit dem Feuer macht. Aber: «Die Finanznot ist jetzt schon immens, ich habe drei Monate auf mein Gehalt als Lehrer warten müssen», sagt Antolin.

NACH OLYMPIA: In Rio fürchten die Menschen zusammengefasst: mehr Überfälle wegen Sparzwängen bei der Polizei, noch mehr Engpässe in Krankenhäusern – und einen Bildungsnotstand. Aber: Der Olympiapark wird zum großen Schul- und Leistungssportzentrum umgebaut, bisher fehlen solche professionellen Strukturen. Und das wichtigste Erbe für die Menschen: Waren bis zum Zuschlag 2009 erst 16 Prozent an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen, sind es nun rund zwei Drittel.

Fotocredits: Lukas Schulze
(dpa)

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