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Sigurdssons emotionale WM-Mission

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Rouen – In gut zwei Wochen ist es vorbei. Der Abschied von Handball-Bundestrainer Dagur Sigurdsson rückt immer näher, aber kaum jemand will darüber reden.

«Das spielt keine Rolle», sagt Nationalspieler Andreas Wolff. Der Torhüter will sich konzentrieren, denn genau diese zwei Wochen sollen noch einmal möglichst erfolgreich gestaltet werden. Bei der WM in Frankreich kommt es aber mehr denn je auf die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Isländers an. Was lässt sich der Querdenker für sein Abschlussturnier einfallen?

Sigurdsson hatte die Handball-Welt bereits vor einem Jahr überrascht. Mit dem sensationellen Gewinn der Europameisterschaft führte er die DHB-Auswahl zurück in die Weltspitze. Einige Monate später bestätigte er den Erfolgsweg mit der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen. Dabei standen ihm viele etablierte Kräfte aus Verletzungs- oder Belastungsgründen die meiste Zeit nicht mal zur Verfügung. Das wird auch bei der WM in Frankreich so sein. Sigurdsson wird sich darum vielleicht noch länger als sonst auf seinem Hotelzimmer einschließen.

Schon während der vorangegangenen Turniere hatte er sein Zimmer kaum verlassen. Zwischen den Trainingseinheiten schaut er sich dort Spiele der kommenden Gegner an, analysiert ihre Schwächen, filtert ihre Stärken, entwickelt daraus seine eigene Strategie – und redet während dieser Zeit kaum. Für den Zuschauer werden die Kniffe des 43-Jährigen während einer Partie immer nur dann kurz sichtbar, wenn er seine blaue Taktiktafel hervorholt. Wie anders der ehemalige Nationalspieler Islands in Sachen Erfolgsstrategie tickt, zeigt eine Passage aus seiner jüngst erschienenen Autobiografie.

Für seine Ehefrau Ingibjörg sei eben jene blaue Tafel «schon manches Mal ein rotes Tuch» gewesen, schreibt er in einem Kapitel. «Zum Beispiel, wenn ich sie abends mit ins Bett nahm und die halbe Nacht damit zubrachte, die kleinen Magneten hin und her zu bewegen, bis ich eine neue Spielkombination ausgetüftelt hatte.» Diese Tafel wird er demnächst dann mit nach Japan nehmen, wo er nach der WM die Nationalmannschaft übernimmt.

Dennoch war seine Entscheidung, den DHB zu verlassen, in erster Linie keine für Japan – sondern eine für seine Heimat. Nach rund acht Jahren in Berlin zieht es seine Familie und ihn zurück nach Island. Von dort wird er regelmäßig zu den Lehrgängen mit dem japanischen Nationalteam fliegen. Eine Betreuung der DHB-Auswahl wäre von Island aus wohl nicht möglich gewesen.

«Es wird schmerzhaft, diese Mannschaft zu verlassen», hatte Sigurdsson im Interview der Deutschen Presse-Agentur gesagt. «Sie wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren auch Titel gewinnen, und dann ist es natürlich etwas bitter, dass man dann nicht dabei ist.» Die Aussicht auf Medaillen wird er in Japan in nächster Zeit nicht haben. Mit seiner taktischen Genialität soll er das Team auf Olympia 2020 in Tokio vorbereiten. Bei der WM in Frankreich traut er den Japanern nicht viel zu. «Sie sind nicht so stark», sagte er.

Seine Konzentration gilt im Moment ohnehin nur den Ungarn, die am Freitag (17.45 Uhr) der erste WM-Gegner seines Teams sind. «Wir müssen noch die richtige Einstellung finden, wie wir reagieren, wenn der Gegner das Spiel kontrolliert. Die Ungarn werden das sehr clever angehen», sagte Sigurdsson. Er wird es wissen.

Fotocredits: Guido Kirchner
(dpa)

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