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Wundertüte Rio: Paralympics übertreffen alle Erwartungen

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Rio de Janeiro – Wer hätte das gedacht? Wo zwischenzeitlich nicht einmal sicher war, ob die Paralympics in Rio de Janeiro stattfinden können, reißen sich die Brasilianer nun um Tickets.

Im Olympiapark herrscht Volksfeststimmung, lange Schlangen vor dem Logo der Paralympics, um ein Erinnerungsfoto zu schießen. Und die Athleten mit Behinderung werden gefeiert, egal aus welchem Land sie kommen.

Mit rund 167 000 Besuchern wurde am 10. September ein Rekord im Olympiapark aufgestellt, zusammen mit den anderen Wettkampfstätten waren es 250 000 Besucher – das gab es an keinem Tag bei Olympia.

Wahrscheinlich werden über zwei Millionen der knapp 2,5 Millionen Tickets verkauft werden. Schon morgens gibt es lange Schlangen am Eingang des Olympiaparks im Stadtteil Barra, das Bus-Transportsystem ist am Limit. Es ist rappelvoll, draußen im Park wie in den Arenen. Und es gibt großen Sport, schon über 100 Weltrekorde wurden erzielt.

Der Radweg am Olympiapark ist fest in Hand der Rollstuhlfahrer – es gibt ein herzliches Miteinander, viele Verbrüderungsszenen – beim Triathlon in Copacabana kommen spontan hunderte Strandbesucher an die Strecke. Brasilianische Medien erklären ausführlich die Sportarten – und zeigen ein Best-Of der schönsten Prothesen: Die einen sind in Länderfarben gehalten, andere sehen aus wie eine Fuß-Nachbildung in Flip-Flops, wie zum Beispiel die des Sitzvolleyballers Renato Oliveira. Böse Zungen meinen schon, dass die Olympischen Spiele mit ihren großen Problemen nur eine Generalprobe für die Paralympics gewesen seien.

Und es gibt nicht diese Bilder mit tausenden leeren Sitzen. Selbst beim Vorrundenspiel der deutschen Goalballer gegen Kanada (5:7) waren rund 12 000 Zuschauer in der Future-Arena. Goalballer Michael Feistle meint: «In der heimischen Liga spielen, wir wenn es hochkommt, vor 100, 200 Zuschauern. Die Atmosphäre hier ist etwas ganz Besonderes.» Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, Friedhelm Julius Beucher, sieht in den gesenkten Preisen einen Grund: «Die Paralympics werden zum bezahlbaren Sportereignis für Brasiliens Bevölkerung.» Die Olympia-Tickets seien für viele zu teuer gewesen.

Und es gibt besondere Aktionen wie die Kampagne #FilltheSeats. Mit Hilfe internationaler Spender wie zum Beispiel der Rockband Coldplay wurden tausende Tickets für Kinder zur Verfügung gestellt. Pakete für je 30 Dollar beinhalteten auch Transport und Essen, so konnten vor allem junge Leute aus Favelas dabei sein. Hinzu kommt, dass Brasilien im Medaillenspiegel sehr stark ist – und die Bürger Rios traditionell kurzentschlossen sind. So entscheiden viele auch je nach Wetter, ob sie zu den Paralympics gehen wollen. Hinzu kommt, dass viele das Angebot nutzen, für 10 Reais (2,80 Euro) nur den Olympiapark zu besuchen, wo es draußen auch Konzerte gibt. Bei Olympia konnte man nur mit Wettbewerb-Tickets in den Park hinein.

Der sehbehinderte Kai Kruse, Bronzemedaillengewinner im Zeitfahren über 1000 Meter auf der Radbahn und 2012 in London Zweiter im Rudern meint: «Es ist eine Wahnsinns-Kulisse. Durch die Akustik hier ist das nochmal krasser, als wenn man irgendwo in einem großen Stadion ist.» Auch im Paralympischen Dorf sei alles bestens. «Alle Kritik, die man vorher gehört hat, muss man dementieren. Die geben sich viel Mühe, perfekte Spiele zu liefern», lobt Kruse die Rio-Organisatoren.

Thomas Schmidberger, Zweiter im Rollstuhl-Tischtennis meint: «Wir fühlen uns sehr wohl. Organisatorisch, ja, südamerikanisch, aber nicht schlecht. Ungewohnt einfach, wenn man das deutsche Pingelige gewöhnt ist.»

Als die Olympischen Spiele zu Ende gingen, waren die Befürchtungen die Schlimmsten: Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, meinte: «Noch nie in der 56-jährigen Geschichte der Paralympische Spiele haben wir so schwierige Rahmenbedingungen erlebt wie hier.» Zuschüsse zu den Reisekosten wurden nicht wie geplant überwiesen, zehn Nationen drohten mangels Geld die Spiele zu verpassen. Dann wurde erst eine entscheidende Finanzspritze von knapp 70 Millionen Euro von Stadt und Regierung angekündigt – und dann zog auch das Interesse plötzlich rasant an. Selbst die fliegenden Händler an der Copacabana haben umgeschwenkt: Paralympic-Shirts seien gefragter als Olympia-T-Shirts, sagt einer.

Fotocredits: Antonio Lacerda
(dpa)

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