Olympia

DLV-Cheftrainer: «Wünsche mir, dass der Auftakt gelingt»

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Rio de Janeiro – Der deutsche Leichtathletik-Cheftrainer Idriss Gonschinska hofft auf einen guten Start in die Olympia-Wettbewerbe am Freitag in Rio.

«Für einige unserer chancenreichsten Athleten werden die Olympischen Spiele beginnen und ich wünsche mir, dass der Auftakt gelingt», sagte er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.

Hat die EM in Amsterdam mit 16 Medaillengewinnen den Schub für Olympia gebracht, den Sie sich vorgestellt haben?

Idriss Gonschinska:Die Europameisterschaften waren erfolgreich, aber von einer EM kann man nicht auf Olympische Spiele schließen. Das war für die Mannschaft eine wichtige emotionale Zwischenstation. Aber jetzt wird das Ergebnis in Rio de Janeiro auch davon abhängen, wie gut die Regenerationsprozesse gestaltet wurden und wie man im Training noch mal spezifische Reize setzen konnte.

Die Sprinter habe eine starke Frühform gezeigt. Julian Reus stellte am 29. Juli einen deutschen 100-Meter-Rekord auf (10,01 Sekunden). Haben Reus und Co. ihr Pulver zu früh verschossen?

Gonschinska:Julian hatte an diesem Tag die Form für etwas Besonderes. In Rio erwarte ich einen anderen Rennverlauf und eine andere Drucksituation. Natürlich erwarte ich nicht, dass er wie in Mannheim vorneweg läuft. Ich wünsche ihm, dass er seinen Laufrhythmus findet. Er ist in einer Riesenform, und die geht nicht in 14 Tagen weg.

Die 9 vor dem Komma scheint für ihn machbar. Bisher ist noch kein deutscher Sprinter unter 10 Sekunden gerannt.

Gonschinska:Wir haben im Sprint viele Dinge in der Methodik und Philosophie verändert. Zeiten um 11,00 Sekunden bei den Frauen und 10,0 bei den Männern: Wer hat das vor einigen Jahren geglaubt? Als ich vergleichbare Ziele 2010 formulierte, haben viele gesagt: Du übertreibst.

Wie wichtig wäre ein erfolgreicher Olympia-Start für das deutsche Leichtathletik-Team?

Gonschinska:Für einige unserer chancenreichsten Athleten werden die Olympischen Spiele beginnen und ich wünsche mir, dass der Auftakt gelingt. Das wäre sicherlich positiv für die ganze Mannschaft.

Stabhochspringer Raphael Holzdeppe, Olympia-Dritter von 2012, musste verletzungsbedingt um den Rio-Start bangen und konnte nur wenige Wettkämpfe machen. Reicht das?

Gonschinska:Natürlich wäre eine komplette Saison besser für ihn gewesen, um sich das Selbstbewusstsein bei den Top-Höhen zu holen und Sicherheit bei der Auswahl der Stäbe und der Griffhöhe zu finden. Ich habe aber von ihm gute Trainingssprünge gesehen. Zudem verfügt er über eine große Erfahrung. Wenn er sich mit seinem Trainer entschieden hat, herzukommen, sind sich beide auch sicher, eine Chance zu haben. Aber das ist eine 50:50-Option. Eine solche Chance für Raphael Holzdeppe ist es immer wert ist, es zu versuchen.

Weitspringerin Sosthene Moguenara war mit 7,16 Metern die Führende der Weltjahresbestenliste im Weitsprung. Ende Mai verletzte sie sich bei Dreharbeiten für einen Werbefilm am Sprunggelenk. Ist sie wieder auf dem Sprung?

Gonschinska:Das war eine sehr unglückliche Verletzung. Sie ist schmerzfrei, wieder voll belastungsfähig, kann maximale Sprünge realisieren, ist extrem sprungkräftig und hat wieder ein gute Anlaufgeschwindigkeit.

Speerwerfer Thomas Röhler hatte Ende Juni erstmals die 90-Meter-Marke übertroffen. Bei der EM in Amsterdam wurde er gehandicapt durch eine Verletzung nur Fünfter. Wie geht es ihm?

Gonschinska:Die Rückmeldung von ihm ist positiv. Er hatte eine muskuläre Verletzung, die wahrscheinlich bei dem 90-Meter-Wurf passierte. Nach der EM hat er zwei Wochen nicht geworfen. Er ist weiterer Athlet mit einem riesigen Potenzial, der sich nicht ideal vorbereiten konnte.

Es gibt junge Aufsteiger wie die Sprinterin Gina Lückenkemper und den Dreispringer Max Heß. Sie holten bei der EM Medaillen. Olympia ist eine Nummer größer. Sind Enttäuschungen möglich?

Gonschinska:Sie sind nicht auszuschließen. Nicht, dass ich die Enttäuschung erwarte. Der Ausgang in Rio ist offen, es gibt die Chance auf eine positive Überraschung. Unbeschwertheit ist auch ein Erfolgsfaktor. Aber natürlich gehört in die Entwicklung von Athleten in die internationale Spitze ein Auf und Ab. Wir würden uns alle Linearität wünschen, aber die gibt es im Sport nicht. Die Beiden sind optimistisch und freuen sich auf das Event. Deshalb glaube ich eher an eine Erfolgswahrscheinlichkeit.

Russlands Leichtathleten sind mit der Ausnahme der Weitspringerin Darja Klischina wegen systematischen Dopings von Olympia ausgeschlossen. Zu Recht?

Gonschinska:Das war eine konsequente Entscheidung und für mich die einzig richtige. Es ist wichtig für die Leichtathletik, dass ein solches Zeichen jetzt gesetzt wurde. Es erscheint auch konsequent, dass Athleten, die sich nicht innerhalb des Systems vorbereitet haben wie Darja Klischina, anders bewertet wurden.

Wird nach den Spielen wieder zur Tagesordnung übergegangen?

Gonschinska:Es muss weiter gemacht werden, um die Sportart wieder so zu etablieren, dass man an sie glaubt, dass nicht bei jeder herausragenden Leistung der Zweifel mitläuft.

Usain Bolt ist der Superstar. Überstrahlt er zu recht alles?

Gonschinska:Sicherlich braucht es diese Heros, mit denen man sich identifizieren kann. Er ist ein Symbol für die Leichtathletik in der heutigen Zeit, der die Wahrnehmung der Sportart garantiert. Er ist im Moment die Lichtgestalt in der Leichtathletik. Und wenn er sich wieder durchsetzt, obwohl er nicht mehr der Youngster ist, dann würde es für ihn und seine Vorbereitung sprechen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn jemand schlägt.

Olympiasieger Robert Harting ist ein großer Athlet – und eine Reizfigur. Wie wichtig ist er für die deutsche Leichtathletik?

Gonschinska:Er ist ein besonderer Athlet, der sich unheimlich fokussiert vorbereitet und sich trotzdem sehr aktiv in die Mannschaft einbringt. Er hat viel für die öffentliche Wahrnehmung der Leichtathletik in Deutschland bewirkt. Ich denke, dass es wichtig ist, mündige Athleten zu haben, die querdenken, die kontroverse Meinungen einbringen. Zum Teil ist es unsere Aufgabe, im Anschluss zu moderieren. Ich finde, diese Form der Interaktion bereichert unsere Mannschaft.

Olympia in Rio markiert auch den Abschied von über lange Jahre erfolgreichen Sportlern wie Hammerwerferin Betty Heidler oder Speerwerferin Christina Obergföll.

Gonschinska:Beide sind herausragende Athletinnen. Sie kann man nicht so einfach mit Youngstern ersetzen. Das ist ein langfristiger Prozess. Athleten von diesem Bekanntheitsgrad werden uns fehlen. Das wird auch menschlich ein Verlust.

ZUR PERSON:Idriss Gonschinska ist seit 2012 Cheftrainer der deutschen Leichtathleten. Der 47 Jahre alte Diplom-Sportwissenschaftler ist in Leipzig geboren.

Fotocredits: Maurizio Gambarini
(dpa)

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