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Gatlin schockt Bolt am «magischen Abend»

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London – Sie machten schon ihre Späßchen und lachten auf der Pressekonferenz, da schallten durchs fast leere Londoner Olympiastadion noch die Sprechchöre der Fans: «Usain Bolt, Usain Bolt, Usain Bolt!»

Der Verlierer wurde gefeiert, Sensationssieger Justin Gatlin ausgebuht. Nur drei Hundertstelsekunden trennten die Protagonisten eines irren Abends im 100-Meter-Finale, kurz nach dem Zieleinlauf passte kein Blatt Papier mehr zwischen die Rivalen der Rennbahn. Die Leichtathletik-WM in London hatte ihre erste richtig große Story.

Gleich nach dem Rennen nahm der Riese Bolt den bulligen Gatlin in die Arme, der Bronzemann gratulierte dem Goldjungen. Für Silbersprinter Christian Coleman (USA) – mit 21 Jahren der Mann der Zukunft – interessierte sich so richtig keiner. «Usain hat mir gratuliert und dann gesagt, du hast hart dafür gearbeitet, und all diese Buh-Rufe hast du nicht verdient», erzählte Gatlin immer noch ein wenig gerührt. Zwölf Jahre nach seinem Goldlauf bei der WM in Helsinki holte sich der 35 Jahre alte Amerikaner seinen zweiten WM-Titel auf der prestigeträchtigsten Sprintstrecke.

Auf die Ehrenrunde ging Gatlin aber nicht, das wäre wohl der Stimmungskiller gewesen, denn von den Buhrufen der über 50 000 Zuschauer im Stadion hatte er genug. Zum Glück war Bolt noch da. «Er war der beste Gegner, dem ich jemals im Wettkampf begegnet bin», sagte der 30 Jahre alte Jamaikaner, der sich erstmals in einem großen 100-Meter-Finale im direkten Duell geschlagen geben musste. «Die beiden waren heute besser als ich und haben das einfach durchgezogen», meinte Bolt, der das zwölfte WM-Gold vor allem wegen seines bekannt schlechten Starts verpasst hatte.

Dass Gatlin bei vielen Rennen immer noch ausgepfiffen wird, hat wortwörtlich «substanzielle» Ursachen: Schon zweimal war der Olympiasieger von 2004 wegen Dopingvergehen gesperrt, erstmals 2001. Als Wiederholungstäter entging er 2006 einem lebenslangen Bann nur deshalb, weil er als Kronzeuge gegen seinen ehemaligen Trainer aussagte. Die achtjährige Wettkampfsperre wurde dann noch halbiert, 2010 war Gatlin wieder im Rennen.

Vom gern kolportierten Duell zwischen Gut und Böse, zwischen Saubermann Bolt und Dopingsünder Gatlin, hält der US-Sprinter überhaupt nichts. «Wir sind Rivalen auf der Bahn», erzählte er, «aber in der Warmup-Zone haben wir immer unsere Witze gemacht und hatten eine gute Zeit».

Auch nach dem spannenden Finale, das Gatlin in 9,92 Sekunden vor Coleman (9,94) und Bolt (9,95) gewann, sahen sie wie zwei alte Freunde aus. «Das ist ein magischer Abend für Usain Bolt. Ich habe ihn immer respektiert und wir haben uns nie gehasst», versicherte Gatlin.

Während für Bolt nach dieser WM endgültig Schluss ist, hat sich sein fünf Jahre älterer Rivale noch nicht entschieden. «Mein Sohn fragt mich schon, ob ich 2020 bei den Olympischen Spielen in Tokio noch dabei bin», erzählte Gatlin. «Aber ob ich weitermache, das entscheide ich von Jahr zu Jahr, von Rennen zu Rennen.»

Fotocredits: Jean-Christophe Bott
(dpa)

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