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Mercedes-Motorsportchef Wolff: «Betrachten jeden Fahrer»

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Brackley – Nach dem überraschenden Rücktritt von Weltmeister Nico Rosberg sondiert Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff den Formel-1-Fahrermarkt.

Der Österreicher spricht im Interview der Deutschen Presse-Agentur unter anderem über die Gründe, die gegen Sebastian Vettel sprechen, und mögliche Pläne mit Pascal Wehrlein.

Herr Wolff, ist Ihre Suche schon beendet?

Toto Wolff: Ich würde es nicht als Suche bezeichnen, sondern wir stecken unsere Köpfe zusammen und schauen uns den Fahrermarkt an, betrachten jede einzelne Situation, jeden einzelnen Fahrer, die Verfügbarkeit, die Performance und die Kompatibilität zum Team und werden dann in den nächsten Tagen eine Entscheidung treffen.

Hatten Sie für Ihren ersten Tag eine konkrete Prioritätenliste?

Toto Wolff: Es geht auch darum das Team zu führen, und nicht nur den Kopf zu verlieren mit einem akuten Problem. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir ein schnelles Auto haben und deshalb relativ viel Interesse vom Fahrermarkt da ist. Insofern brennt hier nicht der Baum. Ganz im Gegenteil: Wir wollen das strukturiert angehen. Ich habe auch einen Termin mit meinen führenden Ingenieuren, um ihr Feedback, ihren Rat einzuholen. So werden wir das Puzzle in den nächsten Tagen zusammensetzen.

Wie viel Rosberg soll in seinem Nachfolger stecken?

Toto Wolff: Möglichst viel Nico Rosberg, es sind schon große Schuhe, die es hier zu füllen gilt. Nico hatte nicht nur Speed, das hat er gegen Lewis immer wieder bewiesen, sondern auch eine akribische, fast engineeringgetriebene Entwicklungsfähigkeit. Das ist natürlich ein Vorzug, der uns fehlen wird. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir einfach den bestmöglichen Fahrer im nächsten Jahr im Auto haben.

Spielt der Deutschland-Faktor beim Piloten eine Rolle?

Toto Wolff: Unsere erste Priorität ist die Performance des Fahrers, weil wir auch das System beibehalten wollen, zwei gleichberechtigte Fahrer zu haben, die sich gegenseitig zu Höchstleistungen pushen, die um Rennsiege fighten und vielleicht auch um Meisterschaften. Diese Priorität ist weit vor allen anderen. Es würde mir natürlich auch Freude machen, einen deutschen Fahrer zu haben. Wir sind eine deutsche Firma, sind allerdings auch global aufgestellt und ein global agierendes Unternehmen und deshalb wollen wir uns in diesem Hinblick nicht einschränken lassen.

Manor-Debütant Pascal Wehrlein sagte, er wäre bereit für die Herausforderung. Ist er es aus Ihrer Sicht?

Toto Wolff: Pascal ist ein ambitionierter junger Mann, der große Ziele hat, an die wir auch glauben. Deshalb ist er in unserem Juniorprogramm. Er hat ein Jahr bei Manor gemacht. Wenn ich eine Weihnachtswunschliste machen würde, dann würde ich mir bei ihm noch ein Jahr oder zwei Jahre wünschen in einem Mittelfeldteam. Aber die Weihnachtswunschliste ist für mich in diesem Jahr entfallen, insofern gilt es, einen guten Kompromiss zu finden und vielleicht, so wie der Nico eine mutige Entscheidung getroffen hat, müssen auch wir eine mutige Entscheidung treffen.

Wehrlein gilt auch als Kandidat beim Sauber-Team. Sind die Gespräche zwischen Mercedes, Wehrlein und Sauber fortgeschritten?

Toto Wolff: Die Gespräche zwischen uns und Sauber sind fortgeschritten. Ich hatte in den letzten Wochen gute Gespräche mit Sauber, das ist aber erstmal auf Eis gelegt wegen der neuen Situation.

Es wird auch über Sebastian Vettel spekuliert. Der Heppenheimer hat aber auf seinen gültigen Vertrag für 2017 bei Ferrari verwiesen. Ist er damit runter von einer Kandidatenliste?

Toto Wolff:Ja, wir respektieren die Verträge, die die Fahrer mit anderen Teams haben. Wir würden auch nicht wollen, dass sich unsere Fahrer nach der nächstbesten Gelegenheit umdrehen. Für diese Situation sind die Verträge da und das respektieren wir. Deswegen werden wir niemanden, uns selbst auch nicht, in eine Situation bringen, wo es zu einer Konfrontation oder juristischen Auseinandersetzung kommen könnte.

Würden Sie es per se ausschließen, jemanden aus seinem Vertrag herauszukaufen, wenn es nötig sein sollte?

Toto Wolff: Natürlich kann es sein, dass man eine einvernehmliche Lösung mit einem anderen Team und einem anderen Fahrer findet, wo es für beide Seiten zu einer Einigung kommt. Das würde ich nicht ausschließen.

Teamaufsichtsrat Niki Lauda sagte, man wolle die Verträge und mögliche Klauseln bei den Kandidaten bis ins Detail durchforsten.

Toto Wolff: Ich habe mich mit Niki abgesprochen, was seine Sicht zum Fahrermarkt ist. Wir sind da ziemlich einer Meinung, wie wir die Fahrer sehen. Wir haben im Team ein ziemlich genaues Verständnis davon, wie die vertraglichen Situationen aussehen und auch mit vielen Fahrern gesprochen in den letzten Tagen, um die vertragliche Situation zu verstehen, wenn wir sie nicht kannten. Deswegen werden wir uns nicht in Fahrerverträge hineingraben, um da nach etwaigen Schwachstellen zu suchen.

Lauda zeigte sich verstimmt, dass Rosberg vorab kein Abschiedszeichen gegeben habe, damit sich Mercedes auf einen Abgang hätte vorbereiten können. Haben Sie Verständnis für seine Reaktion?

Toto Wolff: Niki ist ein sehr rational denkender Mensch und solche emotionalen Entscheidungen liegen ihm nicht. Insofern ist sein Denken zu verstehen, gerade wenn man weiß, wie der Niki funktioniert. Es gibt in seiner Gedankenwelt keine Herzensangelegenheit, der man folgt, und keine emotionale Entscheidung, weil zu viele rationale Gründe dagegen sprechen, das beste Auto gerade als Weltmeister aufzugeben. Das liegt ihm absolut fern. Was Niki meinte ist, dass wir als Team in einer Situation sind, ein Problem lösen zu müssen, das dadurch ausgelöst worden ist. Wir haben uns aber in den letzten Jahren immer wieder Herausforderungen stellen müssen. Ich sehe es mittlerweile als einen Faktor, den wir nicht ändern können. Das ist ein neuer Curve Ball, der uns zugeworfen worden ist, den müssen wir abwehren und daraus gestärkt hervorgehen. Vielleicht ist das ja der Beginn einer großen neuen Karriere und einer spannenden Gelegenheit für das Team.

Gibt es eine Hintertür für Rosberg, wenn seine Formel-1-Leidenschaft in ein oder zwei Jahren neu entflammen sollte?

Toto Wolff: Das ist eine akademische Frage, im Moment ist die Formel 1 für den Nico absolut weit weg, das hat er uns auch gesagt. Über so etwas zu spekulieren, ist jetzt falsch. Uns geht es darum, sich der Zukunft des Teams zu widmen, die stärkstmögliche Fahrerpaarung zu finden und nicht zu überlegen, was in zwei oder drei Jahren ist.

Rosbergs Teamkollege Lewis Hamilton hat sich im Saisonfinale in Abu Dhabi in der Schlussphase Anweisungen von der Box widersetzt. Haben Sie sich schon entschieden, wie Sie darauf reagieren wollen?

Toto Wolff: Das ist auch noch ein Thema, über das wir intern diskutieren müssen. Es hatte nach den Vorkommnissen der letzten Tage allerdings nicht mehr ganz die Priorität. Wir wollen natürlich auch im nächsten Jahr unsere Werte, unseren Racingethos, unseren Racingspirit niederschreiben, da ist Abu Dhabi ein Rennen, aus dem wir lernen müssen. Da müssen wir uns an der eigenen Nase fassen, ob der eine oder andere Call unnötig gewesen ist, ob man zu so einem späten Zeitpunkt, wo es bis zur letzten Minute spannend ist, in eine Meisterschaft eingreifen soll. All das sind Fragen, die wir noch nicht beantwortet haben. Da stecken wir die Köpfe in den nächsten Wochen zusammen, um eine gute Ausgangsmöglichkeit und vor allem eine klare Situation für beide Fahrer zu haben.

ZUR PERSON: Toto Wolff (44) ist seit Januar 2013 Motorsportchef bei Mercedes. 2014, 2015 und 2016 sicherte sich das Team sowohl die Konstrukteurs- als auch die Fahrer-WM. Wolff hält 30 Prozent der Anteile an der Mercedes-Benz-Grand-Prix Ltd.

Fotocredits: Ronald Wittek
(dpa)

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